Welche Rolle kann Musiktherapie in einer digitalen Welt einnehmen? Ist es überhaupt möglich, musiktherapeutische Methoden über Onlineangebote abzudecken? Welche Zielgruppen können wir in die Onlinebehandlung einschließen und wo entwickeln sich für uns Musiktherapeuten Grenzen? Das sind nur ein paar wenige Fragestellungen, die sich aktuell ergeben. In einer Zeit, in der die Digitalisierung voranschreitet, therapeutische und medizinische Behandlungen in digitalen Sprechzimmern stattfinden und Patienten dankbar über diesen Kontakt zu ihrem behandelnden Arzt oder Therapeuten sind, ist es wichtiger denn je, am Ball zu bleiben und sich mit Chancen auseinanderzusetzen. Chancen, die uns Krisen bieten. Krisen bedeuten für Manchen Stillstand, für den Anderen Fortschritt. Vielleicht ergibt sich der Fortschritt aus dem notwendigen Stillstand.
Um musiktherapeutische Möglichkeiten in die digitale Welt zu transportieren, sich über gut funktionierende Programme und Apps für bestimmte Behandlungsfelder auszutauschen und über Sinn sowie Ecken und Kanten von Onlineangeboten zu diskutieren, traf ich mich heute mit sechs anderen Musiktherapeut*innen. Online, versteht sich. Darunter Markus Sommerer, Initiator der Arbeitsgruppe „Digitale Medien und Musiktechnologie in der Musiktherapie“. Selbst als Musiktherapeut tätig, stellte er seine Gedanken hinter dieser Idee vor und zog die Teilnehmer mit seiner motivierten und sympathischen Art ins Boot. Sofort kamen wir ins Gespräch über bereits gesammelte Erfahrungen im Bereich des Umgangs mit Musiktechnologien und modernen Medien innerhalb des musiktherapeutischen Handelns, bevor es dann konkreter wurde. Die zwei Stunden Meeting vergingen wie im Flug und ich verließ den Meetingroom mit jeder Menge neuem Input zu anwendbaren Apps, neuem Technikverständnis und dem Setting, das die Basis für eine erfolgreiche Onlinebehandlung bildet.
Gern möchte ich hier das Wichtigste unseres Treffens mit der Welt teilen! Und ich würde mich wahnsinnig darüber freuen, wenn du auch ab und an den Weg in Richtung Digitalisierung innerhalb der Musiktherapie überdenkst.
Setting
Ganz wichtig ist, dass du dir einen Platz suchst, an dem du ungestört arbeiten kannst. Schließlich arbeiten wir mit sensiblen Patientendaten. Daher sollte auch die Onlinetherapie transparent gestaltet werden, um das Vertrauensverhältnis aufrecht zu erhalten. Es ist z.B. möglich, dem Patienten mit der Laptopkamera (oder auch einer angeschlossenen Dokumentenkamera) den Raum zu zeigen, in dem man sich befindet. Kopfhörer eignen sich sowohl für den Patienten, als auch für den Therapeuten gut – einerseits, um Klänge, Geräusche und Gesprochenes gut zu verstehen, andererseits geben Kopfhörer dem Patienten die Sicherheit, dass alles Vertrauliche nur zu den Ohren des Therapeuten gelangt.
Technik
Nutze am besten einen Laptop. Ich persönlich finde, dass das Smartphone oder auch das Tablet einen zu kleinen Bildschirm haben. Nutze ein Mikrofon, das du an den PC anschließt und stelle sicher, dass die Klänge, Musikstücke und Apps, die du für deine Therapie nutzen willst, gut funktionieren und auch beim Patienten zweifellos zu hören sind. Es ist technisch möglich, all die Instrumente, die du auch sonst für die Musiktherapie nutzt, in die Onlinetherapie einzubinden. Das gelingt, wenn externe Geräusche ausgeschaltet werden können und ein Audio Interface eingebunden wird. Probier das doch erst einmal mit einem Bekannten oder einem Familienmitglied aus, um zu wissen, wie es sich für dein Gegenüber anhört und -fühlt.
Datenschutz
Stell sicher, dass du eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung des Videos anbieten kannst. Die Daten des Patienten müssen geschützt werden. Anbieter dafür sind zum Beispiel „Wire“, „Meet“ Oder „Signal“. Das Meetingtool „Zoom“ hat aber natürlich auch seine Vorteile. Du kannst dort Gruppen nochmals in Kleingruppen aufteilen, es lässt sich ganz einfach handhaben und ist sehr übersichtlich. Großes Plus im Moment: Du kannst derzeit auch kostenlose Meetings mit mehr als zwei Personen halten ohne die bisherige 40-Minuten-Grenze. Je nachdem für welches Programm du dich für deine Patienten entscheidest, solltest du diese vorher aufklären und transparente Informationen übermitteln.
Grenzen
Es ist wichtig abzuwägen, wann digitale Wege innerhalb musiktherapeutischen Handelns gelingen können und wann wir als Musiktherapeuten an Grenzen stoßen. Einerseits meine ich damit unsere eigenen technischen Grenzen, die den einen oder anderen von uns vielleicht überfordern könnten, andererseits störungsspezifische Grenzen. Sicherlich ist es möglich, mit einem Aphasiepatienten rhythmische Sequenzen zur körperlichen Aktivierung via Onlinebehandlung durchzuführen, Tinnituspatienten online zu beraten oder auch rezeptiv zu arbeiten. Anders sieht das Ganze aus, wenn es z.B. um die Arbeit mit schwerstmehrfachbehinderten Menschen geht. Ich denke schon, dass es möglich ist, sich über eine Onlineplattform zu hören oder zu sehen – das setzt jedoch einerseits Engagement und zeitliche Kapazitäten der Betreuer / Angehörigen voraus, andererseits schränkt es den ganzheitlichen Therapieschwerpunkt ein. Ein musiktherapeutisches Fürspiel hingegen ist gut vorstellbar.
Apps
Der Appstore hat jede Menge zu bieten, wenn es um das Thema Musik geht. Hier gilt: Probieren geht über Studieren. Apps zu folgenden Themen eignen sich für die Musiktherapie
- Metronom – zum Gangtraining oder auch zum rhythmischen Sprechen
- Piano, Schlagzeug- oder Gitarrenapps – um mit kleinen Fingertipps schon selbstwirksam zu sein
- Loop-App – Melodie- oder Rhythmuslinien können gespeichert und anschließend zusammengesetzt werden
- Karaoke – um einfach mitzusingen
- Klassische Stücke – um zu Hause Wahrnehmungstraining mit Musik durchzuführen (Achtung! Dennoch muss selbstverständlich gewährleistet sein, dass die Musikauswahl sorgsam erfolgt, um den Patienten nicht zu labilisieren oder zu überfordern!)
- Kinderliederapp – lässt sich in Zeiten, in denen Eltern z.B. nicht zur musikalischen Früherziehung gehen, gut als Ideen für zu Hause mitgeben
- Memory – mit Klängen, Geräuschen und Tönen, um die Hörwahrnehmung zu fördern
Das sind nur ein paar von ganz vielen Ideen. Ich habe bewusst keine bestimmte App vorgeschlagen, weil es natürlich immer eine große Auswahl gibt und jeder eine andere Art von Apps vorzieht, die ihm gefallen. Es gibt kostenfreie, als auch kostenpflichtige Programme. Wer dennoch eine Empfehlung möchte, darf sich gern per Nachricht bei mir melden.
Nachhaltig und wirksam
Uns allen sollte bewusst sein, dass all die Recherchen, das Ausprobieren digitaler Wege und der Umgang mit Musiktechnologien ein wertvoller Schatz für die Arbeit von uns Musiktherapeuten sein kann. Und zwar nicht nur für die aktuelle Krisenzeit. Das Ziel für die Zukunft sollte sein, Musiktherapeuten eine Handreichung bereitzustellen, die zeigt, wie es möglich ist, auch über die Wege der Onlinebehandlung sowie durch den Einsatz digitaler Methoden im musiktherapeutischen Setting zu (be)handeln. Lasst uns dafür also nachhaltig, gemeinsam und vor allem durch hohe Qualität und Expertenwissen überzeugen!
Bald wird es ein erneutes Treffen unserer Arbeitsgruppe geben. Ich bin jetzt schon ganz gespannt und voller Vorfreude, was die Inhalte, die Ergebnisse und die Begegnungen mit den anderen Musiktherapiekollegen betrifft. Unter anderem werden wir genauer besprechen, welche rechtlichen Dinge es zu beachten gibt, welche Apps sich für schwerstmehrfachbehinderte Patienten eignen und was die Experten der Forschung zum Thema Digitalisierung in der Musiktherapie sagen.