1. Musiktherapie bedeutet Entspannung!
Ich kann euch gar nicht sagen, wie oft ich höre „Oh, Musiktherapie. Da können deine Patienten bestimmt gut entspannen“. Natürlich finden solche Stunden auch statt und es gibt sehr viele kleine und große Patienten, die genau das brauchen. Es gibt unzählige Musikinstrumente, die uns mit ihren wohligen Klängen begeistern können und durch die wir Ruhe, Entspannung und Zeit für uns finden. Aber das ist nur ein ganz kleiner Bruchteil dessen, wie Musiktherapeuten arbeiten. Vielmehr erlebe ich, dass Musiktherapie für viele Patienten auch heißt, sich selbst zu spüren, sich selbst näher zu kommen und auch mit den Anteilen, die sich irgendwo tief in ihnen verstecken, durch Musik und Therapie Kontakt aufzunehmen. Das musiktherapeutische Konzept nach Ch. Schwabe unterteilt in rezeptive und aktive Musiktherapie. Da seht ihr schon, dass das Wort „aktiv“ im Namen steckt. Mit Orff‘schen Instrumenten kann der Patient in der musiktherapeutischen Sitzung aktiv werden, in dem gemeinsam auf den Instrumenten improvisiert wird. Das braucht Mut, Zurückhaltung, Hervortreten, Abwarten, in Kontakt treten und wahrnehmen. Also das ganze Gegenteil von Entspannung. Es werden Prozesse angeregt, die sich besonders gut in einem gruppentherapeutischen Setting aufleben lassen. Musiktherapie schafft Begegnung mit sich selbst und mit anderen – durch das Medium Musik. Es werden aktiv Rhythmen geschaffen, es entstehen Klänge und Verbindungen. Übrigens findet Musiktherapie immer mehr Raum und Anwendung in Kliniken für Rehabilitation, denn es ist möglich durch das Musizieren ganz unterschiedliche Bereiche zu reaktivieren – sei es die Feinmotorik, die Atmung, Zugang zu sprachlichen Fähigkeiten und natürlich auch, um soziale Beziehungen oder auch die Beziehung zu sich selbst zu stärken.
Fazit:
Entspannung ist nur ein Puzzleteil der gesamten Musiktherapielandschaft!
2. Musiktherapie heilt Krankheiten!
Es wäre ein Wunder und ganz wunderbar zugleich, wenn es allein mit Musik möglich wäre, Krankheiten zu heilen. Es ist nicht möglich, eine Krankheit mittels musiktherapeutischer Methoden zu heilen. Ich werfe ein Beispiel ein – keine musiktherapeutische Methode hat die Wirkung, Krebs zu heilen. Aber: es ist möglich, an den sekundären Symptomen einer Diagnose oder Störung anzusetzen. Diese sind nicht zu unterschätzen. Denn wenn wir nicht gesund sind und uns eine bestimmte Diagnose auf unserem Lebensweg begleitet, so stehen Dinge im Raum, die auf unserer Seele brennen. Körperliche Schmerzen drücken auf das Gemüt, soziale Beziehungen verändern sich, psychische Belastungen lassen den Alltag plötzlich so schwer werden. Genau an diesen Punkten kann Musiktherapie ansetzen. Ein Stück weit wieder zu sich zu finden, neben dem unendlichen Beschäftigen mit der Krankheit ist es sehr wichtig, auch wieder an Ressourcen anzusetzen, das zu tun, was die Seele und den Körper unterstützt. Es gibt dafür kein Allgemeinrezept – welches Glück wir haben, dass es nicht nur eine musiktherapeutische Methode gibt, die Anwendung finden kann. Auch hier möchte ich jedoch zu Bedenken geben, dass das nicht bedeutet, „einfach mal irgendwas“ zu machen, nur um was zu machen. An allererster Stelle steht, wie auch in der Behandlung durch andere Therapeuten, dass Handlungsziele und -ansätze verfolgt werden.
Fazit:
Musiktherapie setzt an sekundären Symptomen an und heilt nicht die Grunderkrankung!
3. Musiktherapeuten spielen mindestens ein Instrument perfekt!
Nein! Manchmal ist es sogar hinderlich für Musiktherapeuten, wenn sie ein Instrument so perfekt wie ein Orchestermusiker spielen würden. Gerade, wenn es um Methoden der regulativen Musiktherapie geht (Wahrnehmen durch das Hören von Musik) fällt es schwer, auf eigene Gefühle und Gedanken zu hören, weil wohl eher musikalische Strukturen, Instrumente oder Melodieverläufe wahrgenommen werden. Um Musiktherapeut zu werden, braucht es eine Leidenschaft für Musik. Das ist der Grund, warum die meisten Musiktherapeuten natürlich eins oder mehrere Instrumente spielen. Ein Pilot wird auch nicht Pilot, wenn er Angst vor dem Fliegen hat. In Therapiesituationen kommen Instrumente wie Trommeln, Klangspiele und jene des Orff-Instrumentariums zum Einsatz. Jeder Musiktherapeut arbeitet individuell auf seine Weise, beherrscht bestimmte Methoden und nutzt selbstverständlich auch das eigene Instrument in seiner Arbeit.
Fazit:
Es ist keine Voraussetzung, ein Instrument perfekt zu beherrschen, um Musiktherapeut zu werden. Aber es ist natürlich eine wunderbare Ergänzung!
4. Musiktherapie ist Esoterikkram!
In vielen Momenten, in denen ich über meine Arbeit als Musiktherapeutin spreche ist es der Punkt, der mich manchmal enttäuscht. Denn Musiktherapie ist so viel mehr als „Esoterikkram“. Wir Musiktherapeuten Deutschlands arbeiten nach Leitlinien, um eine einheitliche Qualität musiktherapeutischer Arbeit aufrechtzuerhalten. „Musiktherapeutische Methoden folgen gleichberechtigt tiefenpsychologischen, verhaltenstherapeutisch-lerntheoretischen, systemischen, anthroposophischen und ganzheitlich-humanistischen Ansätzen. Musiktherapie ist der gezielte Einsatz von Musik im Rahmen der therapeutischen Beziehung zur Wiederherstellung, Erhaltung und Förderung seelischer, körperlicher und geistiger Gesundheit.“ Das alles kannst du nachlesen unter www.musiktherapie.de. Ich möchte nicht infrage stellen, dass es durchaus Musiktherapeuten gibt, die ausschließlich spirituell arbeiten und damit lohnenswerte Erfolge erzielen können. Auch das habe ich schon selbst erleben können, war begeistert und möchte diese Arbeit nicht mehr wegdenken müssen. Doch nicht zu vergessen sind all die tollen Erfolge im klinischen Setting.
Fazit:
Musiktherapie ist wissenschaftlich fundiert, im klinischen Setting zu finden, aber natürlich auch in der spirituellen Arbeit eine nicht mehr wegzudenkende Methode.
5. Musiktherapie ist nur was für musikalische Patienten!
Ist es das, was Menschen daran hindert, über Musiktherapie nachzudenken? Wie kam dieser Gedanken überhaupt auf? Niemand muss ein Instrument spielen können oder seiner Meinung nach „gut singen“ können, um Musiktherapie in Anspruch nehmen zu können. Sie ist für jeden gedacht. Es geht nicht um richtige und falsche Töne, sondern um Begegnung, um Selbstaktivierung, um den Rhythmus des Lebens und um Ressourcen, die in uns stecken und die manchmal eine Weile brauchen, um aus uns herauszukommen. Und sie setzt natürlich an bestimmten sekundären Defiziten an – wie Zustände nach Schlaganfall, Tinnitus, geistige Behinderung, Parkinson, Autismus und viele weitere. Da „musikalisch“ und „unmusikalisch“ sowieso keine genauen Definitionen kennt – schnell weg mit diesem Mythos!
Fazit:
Musikalische Kenntnisse sind nicht notwendig, um eine Musiktherapie zu beginnen